„Um die Welt zu ruinieren,
genügt es, wenn jeder seine
Pflicht tut“
(Winston Churchill)
In der Rolle als verantwortliche Führungskraft sind wir in einer Krise, die unsere Organisation als Ganzes auf existentielle Art und Weise betrifft, aber auch uns ganz unmittelbar mit unseren eigenen Lebensfragen konfrontiert.
Wenn wir als verantwortliche Manager souverän agieren wollen, mit dem Ziel vor Augen, die Organisation und die uns anvertrauten Menschen nachhaltig aus der Krise heraus zu führen, dann geht der Weg zwangsläufig nach innen und erfordert eine hohe Bewusstheit im Umgang mit sich selbst.
Die hier vorliegende Selbstreflexion von mir als Managerin im Kontext einer Organisationskrise lädt dazu ein, den äußeren Erfolgsfaktoren in der Bewältigung von Krisensituationen die inneren Erfolgsfaktoren gegenüber zu stellen und dabei die drei wesentlichen Ebenen zu betrachten: die eigene Person, das verantwortlich agierende Team des Managements und die Organisation als Ganzes.
Lektion 1
Im Außen:
Die Existenzgefährdung der Organisation als Auslöser
Im Innen:
Die innere Krise annehmen
Im Rückblick auf den Prozess gibt es einen Zeitpunkt Null, den Zeitpunkt der eigentlichen Intervention, als das scheinbar Unabwendbare zum ersten Mal ausgesprochen wurde. Im vorliegenden Fall ausgelöst durch die drohende Schließung des Standorts – eine eigentlich bereits beschlossene Sache, es waren nur noch wenige Monate Zeit bis zur offiziellen Verkündigung.
Aus meiner persönlichen Perspektive und in der Rolle der damals verantwortlichen Personalleiterin kann ich mich noch gut an diesen Zeitpunkt erinnern, und auch an die Frage des Geschäftsführers „Haben Sie Lust, mit mir alles zu versuchen, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen?“
Die inneren und äußeren Welten überschlagen sich zu diesem Zeitpunkt in mir, ein Gefühl der Ohnmacht breitet sich aus, und vom ersten Moment an lässt sich ein Disput beobachten zwischen der mahnenden Stimme des Verstandes und der emotio nalen Ebene, die sich mit Vehemenz offenbart und sich Durchbruch verschaffen will.
Einerseits appelliert der Verstand an die Verantwortung in der Rolle und aus dieser Perspektive scheint die Entscheidung klar, die Verantwortung anzunehmen. Schließlich geht es um Menschenschicksale, um eine große Zahl von Arbeitsplätzen, die unwiderruflich verloren gehen würden und um viele Familien, deren materielle Existenz auf dem Spiel steht.
Indes, in dieses Gefühl der klaren Verantwortung mischen sich vehement Ohnmacht und Zweifel. Eine bereits in der Konzernzentrale getroffene Entscheidung, wie viel Sinn macht es da überhaupt zu kämpfen, wie kann das gehen, was sollen wir und ich da überhaupt ausrichten können? Und es sind äußerst unangenehme Gedanken an das Endszenario einer Standortschließung in der Rolle als Personalleiterin. Gedanken an die lange Zeit, bis der Schritt vollzogen ist, mit harter, unliebsamer Arbeit, mit Schmerzen, Ärger, Trauer und Leid, so habe ich mir die nächsten Jahre nicht
vorgestellt, mahnte mich die innere Stimme.
Widerstand macht sich breit und auch das verhaftet Sein in der materiellen Welt. Dazu kommt noch eine emotionale Seite. Gerade habe ich mein Arbeitspensum ein wenig reduziert, um mehr Zeit für unseren zweijährigen Sohn zu haben. Nun soll es wieder zurückzustecken heißen, die eigenen Bedürfnisse ignorieren, dem Wunsch, sich auch dem Muttersein hinzugeben, zu widersagen? Das macht traurig und hilflos.
Doch ganz am Ende dieses inneren Wirbelsturms gibt es noch eine andere Ebene, dort wo die auten Stimmen, die Gedanken und Emotionen für kurze Zeit zum Schweigen kommen, in der Stille, im bei sich selbst Sein, im Erspüren, dessen, was wesentlich ist. Es ist so etwas wie ein innerer Ruf, das Gefühl, dass alles Sinn macht, dass der Platz und die Situation, in der ich mich gerade befinde, genauso für mich gemeint sind, mir die Chance offerieren, weiter wesentlich zu werden und meiner Berufung, meiner Aufgabe, die weit mehr ist als Position und Rolle, zu folgen.
Und an diesem inneren Ort vernehme ich ein deutliches Ja! Ein Ja, die Situation so anzunehmen, wie sie sich zeigt, dem Fluss des Lebens zu folgen und dies als eine Lern- und Entwicklungschance zu gestalten – für meinen eigenen Weg und auch für die, mit denen gemeinsam ich diesen Prozess gestalte, soweit mir das erlaubt und
möglich ist.
Dies ist eine der ersten persönlichen Erfahrungen und eine wesentliche Erkenntnis in dem Prozess: Nur wer selbst die Krise innerlich durchlebt und angenommen hat, kann sie im Äußeren gestalten und die darin verborgenen Chancen zum Leben bringen. So wird auf dem Höhepunkt der inneren Krise ein Wendepunkt erlebbar, der mit einer lebensbejahenden und annehmenden Haltung einhergeht. Ein Moment der Präsenz in der Gegenwart, in dem sich auch die Angst und alle damit verbundenen Gefühle auflösen und einer großen, neuen Lebenskraft Raum geben.
Lektion 2
Im Außen:
Der Management-Diskurs als Plattform für Begegnung
Im Innen:
Sich zeigen, damit der Andere sich erkennen kann
Dem Prozess der Einkehr bei sich selbst, folgte eine intensive Phase der Auseinandersetzung im Kreis der obersten Führungsverantwortlichen. Dort, wo Unbestimmtheit und Unsicherheit den Prozess dominieren, liegt auch die Chance verborgen, die besondere Begegnungsqualität des Dialogs miteinander zu entwickeln.
Denn die Fähigkeit, in dieser hoch komplexen, Problem behafteten und scheinbar ausweglosen Situation, Lösungen zu entwickeln, ist vergleichbar mit dem Besuch eines DunkelMuseums. Es braucht eine andere Form der Wahrnehmungsfähigkeit, eine Fähigkeit der Wahrnehmung dessen, was sich im Unbewussten und Verborgenen zeigt, ein hohes gegenseitiges Vertrauen, das beim gemeinsamen Gehen entsteht, eine Form der Kommunikation und Begegnung, die weit über das hinaus geht, was gewohnte Praxis ist.
Die Diskussion als gängiges Modell der Kommunikation auf Ebene des Managements, die dazu dient im Abwägen von Handlungsalternativen zu Entscheidungen zu kommen, greift hier zu kurz. Denn es geht nicht darum, die eigene Sicht der Dinge durchzusetzen und Argumente gegeneinander abzuwägen, da dies zunächst gar nicht möglich ist. Vielmehr lautet die Maxime, die Entwicklung eines möglichen Zukunftsszenarios als gemeinsamen Entstehungsprozess zu gestalten. Qualitäten, die aus einer Haltung der Achtsamkeit und des Zuhörens von innen heraus kommen, einer Haltung, die dem Anderen zugewandt ist.
Im wachsenden Vertrauen jenseits der gewohnten Management Routinen wird es möglich, sich selbst mit dem eigenen, inneren Prozess zu zeigen und sich aufeinander einzulassen. Dieses sich Zeigen ist wesentlich, damit der Andere nicht nur sein Gegenüber, sondern auch sich selbst klarer sehen und erkennen kann.
Am Beispiel der Existenzkrise dieser Organisation hat das wesentlich dazu beigetragen, dass neben der Entwicklung inhaltlich neuer Ideen und einer nachhaltigen Strategie zur Bewältigung der Krise, eine neue Form des Dialogs entstanden ist. Dieser war das Gefäß, das auch die Entwicklung der zeitlich und individuell unterschiedlichen inneren Prozesse der Einzelnen, zu einem größeren, gemeinsamen Ganzen integriert hat. Ein Prozess, der wiederum dazu beitrug, dass am Ende dieser intensiven Phase der Auseinandersetzung und des Aushandelns alle miteinander auf Augenhöhe waren, was bis dahin noch nie gelungen war.
Lektion 3
Im Außen:
Commitment aller Beteiligten sicherstellen
Im Innen:
Klarheit in sich selbst finden
Die Phase, ein echtes Commitment des obersten Führungskreises sicherzustellen, war aus meiner Sicht der entscheidende Faktor, um am Ende die Krise abzuwenden und das Fundament zu bauen, auf dem der Standort in Richtung einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit transformiert werden konnte. Dafür brauchte es sehr viel Raum und Zeit, die unter einer reinen Effizienz- und Ressourcen-Betrachtung, unverhältnismäßig
scheint, wenn man sie in Bezug zu der für den Gesamtprozess zur Verfügung stehenden Zeit sieht.
Von den ungefähr sechs Monaten, die blieben, um die Kehrtwende zu schaffen, hat sich das Managementteam etwa zwei Monate mit sich selbst beschäftigt. Hinzu kommt, dass diese Phase nicht immer effektiv war. Dinge, die in der einen Führungsklausur beschlossen wurden, wurden in der nächsten bereits wieder in Frage gestellt, weil einzelne ins Zögern oder Zweifeln kamen, neue Fragen aufgeworfen wurden, und die Fähigkeit im Team, unter extrem hoher Unsicherheit und mit hohem Risiko zu agieren, noch nicht eingeübt genug war.
Darüber hinaus erforderte der Prozess ein hohes Maß an persönlichem Commitment auf allen Ebenen: ein zeitlich ho- hes Engagement, oft bis in die späten Abendstunden hinein, die Bereitschaft, auch die eigenen inneren Themen, Sorgen, Ängste, Widerstände im Team zu besprechen, und auch das Commitment, selbst eigene materielle Zugeständnisse zu
machen.
Hier keinerlei Kompromisse zuzulassen, und nach einem langen Teamprozess jeden in Vier-Augen-Gesprächen abzuholen, war ein kluger und nachhaltig wirksamer Zug des verantwortlichen Geschäftsführers.
Sich das Wort darauf geben zu lassen, den Prozess verantwortlich bis zum Ende mitzugestalten und mitzutragen, und gleichzeitig die Möglichkeit einzuräumen, dies zu überdenken und zu Beginn des Prozesses, bevor das Team vor die Mitarbeiterschaft trat, noch aussteigen zu können, hat zur großen Klarheit bei jedem Einzelnen und auch beim Team als Ganzes beigetragen. Das Gefühl nach dieser Phase, sich blind aufeinander verlassen zu können und in gemeinsamer, gegenseitiger Verantwortung zu agieren, war sehr ausgeprägt.
Damit war nicht nur ein wesentlicher Baustein für den Erfolg gelegt, vielmehr hat dies auch dazu beigetragen, dass in allen weiteren Phasen des Prozesses das Team sehr agil, flexibel und unternehmerisch handeln und entscheiden konnte, was die eigentlichen Erfolgsgrößen in der Krisenbewältigung waren.
Gleichzeitig hat dieser Prozess, der für die Mitarbeiter nicht erlebbar war und hinter verschlossenen Türen stattfand, zu einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit geführt. Denn in dem Moment, als das Managementteam in einen Dialog mit den Mitarbeitern trat, war die Glaubwürdigkeit für alle spürbar und erlebbar, ohne dass dies nochmals explizit betont werden musste.
Die Verlässlichkeit des Managements war Ausdruck einer Haltung, die aus dem gemeinsam und individuell Erlebten und Erfahrenen resultierte.
Diese Glaubwürdigkeit so uneingeschränkt zu erfahren, war aus meiner Sicht der eigentliche Lohn für den anstrengenden Prozess zuvor und für die Bereitschaft, sich ganz eingelassen zu haben.
Lektion 4
Im Außen:
Symbolische Führung
Im Innen:
Die Kraft der Musterunterbrechung
Nach der intensiven Zeit eingehender Management-Klausuren und Reflexionen war es ein Meilenstein der besonderen Art, wie wir als Führungsteam die erste Kommunikation mit allen Mitarbeitern gestaltet haben. Erst neulich habe ich eine frühere Kollegin getroffen. Im Gespräch sagte sie: „Weißt Du, wenn Ihr damals die Informationsveranstaltung nicht genau in der Art und Weise gestaltet hättet, ich bin mir sicher, das Ganze wäre nicht so erfolgreich geworden.“
Diese Aussage hat mich sehr beeindruckt, und im Nachspüren trifft sie auch aus meiner eigenen Perspektive den Kern. In unserem Team war schnell klar, dass wir diese erste Information jenseits der bisher gewohnten Routine gestalten wollten und mussten. Aber wie? Wir waren uns einig darin, dass in dem Moment, in dem wir den Saal betreten würden, jeder spüren sollte, jetzt ist etwas anders, jetzt bricht eine neue Ära an. Nur wie gelingt es, einen solchen Anspruch umzusetzen? Und was sind im Nachhinein die Stellhebel gewesen, dass dies in der Wahrnehmung der Mitarbeiter tatsächlich so erlebt wurde?
Wie so oft, würden sich wahrscheinlich sehr unterschiedliche Antworten ergeben, würde man den betroffenen Führungskreis dazu befragen. In der eigenen Analyse gibt es einige Erfolgsfaktoren, die als Empfehlung in jedem Handbuch für Kommunikation in Krisenzeiten stehen sollten.
Als erster Erfolgsfaktor ist hier vor allem die Präsenz des gesamten Managementteams zu nennen. Aus der bisherigen Routine regelmäßiger Informationen waren es die Mitarbeiter gewohnt, dass der Geschäftsführer und gegebenenfalls situativ ein oder zwei weitere Experten zu spezifischen Themen auf der Bühne waren. Nun trat unser gesamtes Team geschlossen nebeneinander vor die Mitarbeiter. Ein symbolischer Akt, um das für uns in diesem Prozess wichtigste Prinzip von „We are mutual accountable“ (auf Deutsch etwa: wir stehen füreinander ein) zum Ausdruck zu bringen.
Damit meinten wir, in diesem Prozess ist der Fehler des einen auch der Fehler des anderen und wir sind gegenseitig füreinander verantwortlich und miteinander für das Ergebnis, unabhängig davon, wie es ausgeht. In diesem besonderen Moment als wir gemeinsam auf die Bühne traten, hätte man unter den 1.000 Mitarbeitern eine Stecknadel fallen hören.
Der zweite Erfolgsfaktor liegt in der Ausgestaltung und Form der Kommunikation begründet, die wir gemeinsam entwickelt haben. Dies war ein Entstehungsprozess in ständigem inhaltlichem Ringen um die richtige Botschaft, und um die Frage, welcher Inhalt bei den Mitarbeitern welche Resonanz auslöst. Sofern eine Person aus unserem Team einen Inhalt nicht mittragen konnte, wurde er wieder verworfen, und neu gedacht. Mehrere Wochen und viele Stunden war das Führungsteam in diesen Prozess involviert, bis alle das Gefühl hatten, jetzt passt die Botschaft, der Inhalt, die Einfachheit der Sprache und die Form zu dem, was wir bewirken wollen.
Wichtig war es uns dabei vor allem, die Menschen nicht nur in ihrem Kopf, sondern auch in ihrem Herzen zu erreichen, und mit der Informationsveranstaltung den Beginn einer Haltungsänderung zu bewirken. Am Ende hatte jeder aus dem Team einen Inhalt, den er präsentierte, und den er aus seiner Rolle und seiner persönlichen Perspektive heraus vertreten wollte. Wir sprachen viel in emotionalen und visuell klaren Bildern, und mit so wenig Worten wie möglich. In diesem kritischen Prozess war es ein Schlüsselfaktor, dass vor der offiziellen Information kein noch so kleines Gerücht und keinerlei Anlass für eine allgemeine Verunsicherung nach außen drang. Wir konnten uns aufeinander verlassen, was uns ermöglichte, uns auf den eigenen Prozess zu konzentrieren, und gleichzeitig sicherstellte, dass in der Organisation in der Zwischenzeit mit hoher Effizienz und Qualität weiter gearbeitet wurde.
Bei all diesen Empfehlungen für das Handbuch zur Kommunikation in Krisenzeiten ist der entscheidende Erfolgsfaktor noch nicht genannt. Der einzige Faktor, der weder sichtbar noch nachahmbar ist, ist der Prozess, der aus dem Inneren heraus entstand, die Haltung nämlich, die spürbar ist, auch wenn sie sich nicht in Worte fassen lässt.
Die Haltung des Führungsteams und jedes Einzelnen, die aus dem persönlichen und gemeinsamen Entwicklungs- und Entstehungsprozesses entsprang, wurde letztlich der entscheidende Faktor für nachhaltigen Erfolg. So gelang es, das Vertrauen der Mitarbeiter sowie deren Bereitschaft, die Herausforderungen zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft anzunehmen, zu gewinnen. Sie konnten aus der Opferrolle heraustreten und selbst Verantwortung übernehmen.
Ein Element der Management-Information war es überdies, Betroffene zu verantwortlich Handelnden zu machen. Dazu wurde ein Bild der Notwasserung auf dem Hudson River gezeigt, bei der es Chesley Sullenberger als Krisenpilot gelungen war, souverän und ohne einen Verletzten auf dem Fluss zu landen. Die Botschaft war, auch wenn ein guter Ausgang der Situation mit großem Risiko verbunden ist, wir als Führungsmannschaft sind absolut überzeugt, dass wir dies gemeinsam schaffen können. Das Bild war untertitelt mit einem Zitat von Winston Churchill: „Um die Welt zu ruinieren, genügt es, wenn jeder seine Pflicht tut.“ Wir haben weit mehr als die Pflicht jedes Einzelnen verlangt, und auch bekommen. Die Botschaft war angekommen.
Lektion 5
Im Außen:
Lebendige Kommunikation als Schlüsselinstrument
Im Innen:
Nähe herstellen und mit sich in Kontakt bleiben
Dies war jedoch nur der Anfang eines gesamthaft langfristig angelegten Kommunikationsprozesses. Der Grundstein war gelegt, nun hieß es unmittelbar zu agieren und am Ball zu bleiben, damit die Kommunikation mit den Mitarbeitern zu einem lebendigen, sich gegenseitig befruchtenden Prozess werden konnte. Den Dialog zu ermöglichen und auch über die steinigen und schwierigen Phasen hinweg am Leben zu halten, war die Maxime unseres Handelns. Zunächst ging es darum zu verstehen, was die Mitarbeiter aus unserer Management-Information mitgenommen hatten, was diese an Gedanken, Gefühlen und Fragen ausgelöst hatte, welche Befindlichkeiten, Ängste und Sorgen die Mitarbeiter im Nachgang
beschäftigten.
Um darauf angemessen eingehen zu können und den Prozess im Wettlauf mit der Zeit, mit all der Anspannung, unter der die Führungsmannschaft selbst stand, souverän steuern zu können, wurde eine neu Form der Kommunikation eingeführt. So sind jeweils zwei Mitglieder des Führungsteams gemeinsam in die einzelnen Bereiche zu den Mitarbeitern gegangen, um in Kleingruppen eine Vertiefung im Dialog zu gewährleisten.
Es ging – vielleicht für viele unbewusst – auch darum, die Haltung, die in der Erstinformation bereits spürbar war, in den Dialog und das Bewusstsein der Mitarbeiter zu bringen. Die Haltung: „Wir sind da. Wir nehmen die Situation mit allem, was dazu gehört, an. Wir stellen uns der Verantwortung für unsere Mitarbeiter, unser Unternehmen, und die Familien. Wir führen den Prozess und geben unser Bestes, bis entschieden ist, wo die Reise hingeht.“ In Krisenzeiten muss die fehlende äußere Sicherheit ersetzt werden durch eine andere Form von Sicherheit: zu wissen und Vertrauen in die Führung zu haben, dass ich als Mitarbeiter zum gegebenen Zeitpunkt zu den wichtigen Themen informiert werde und in einen wertschätzenden
Dialog eingebunden bin.
Das Vertrauen, das auf dieser Grundlage entstand, gab den Mitarbeitern Raum, sich zu öffnen und sich in der eigenen Verletzlichkeit und Angreifbarkeit zu zeigen, mit allen Widerständen, Ängsten und Nöten. Den Dialog mit den Mitarbeitern im Führungs-Tandem zu führen, war Ausdruck für das in diesem Prozess zentrale Prinzip, sich gegenseitig verantwortlich zu fühlen. Auch war damit der Vorteil verbunden, dass die jeweils für den Bereich verantwortliche Führungskraft einen Sparringspartner an der Seite hatte, der aus einer anderen Rolle heraus agierte.
Mit etwas mehr Distanz zu den Mitarbeitern als die eigene Führungskraft, konnte er den Prozess unterstützen, indem er eigene Sichtweisen ergänzte, einen Perspektivwechsel ermöglichte und zu neuen Fragen anregte. Das Element des Feedbacks, als weiteren unverzichtbaren Teil lebendiger Kommunikation, spielte in diesem Prozess eine wesentliche Rolle. So geben sich die im Tandem agierenden Führungskräfte gegenseitig Feedback, um ihr eigenes Selbstbild überprüfen zu können.
Nähe herzustellen, war nicht nur im Kontakt mit den Mitarbeitern ein Schlüsselelement. Die Zusammenarbeit mit allen wichtigen Stakeholdern, war ein weiterer kritischer Erfolgsfaktor im Prozess. Dies gilt insbesondere für die Kooperation mit den Mitarbeitervertretern. Diese im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu gestalten mit hoher gegenseitiger Wertschätzung und im Respekt der unterschiedlichen Rollen, war entscheidend für einen weitestgehend reibungslosen Verlauf und eine nachhaltige Akzeptanz der Ergebnisse, die zwangsläufig zu Einschränkungen für alle führten.
Das Verständnis und die Haltung, in gemeinsamer Verantwortung für das Unternehmen zu handeln und dennoch der Unterschiedlichkeit der Perspektiven Raum zu geben, waren tragende Säulen des Erfolgs.
Lektion 6
Im Außen:
Orientierung und Verlässlichkeit als Rollenvorbild geben
Im Innen:
Von den Anderen nicht mehr erwarten, als ich selbst zu geben bereit bin
Oft werden Krisen, die für Unternehmen existentieller Natur sind, in einem Ungleichgewicht letztlich zu Lasten der Mitarbeiter ausgetragen. Entscheidungen, die vom Management zur Krisenbewältigung getroffen werden, klammern die Managementebene von vorneherein aus. Unabhängig davon, ob dies personelle Entscheidungen sind oder ob es um finanzielle Einschnitte geht, die Entscheider sehen sich oft selbst nicht als Teil des Problems.
Die Ungleichheit, die damit das Macht- und Entscheidungsgefüge in der betroffenen Organisation systemisch untermauert, führt – sei es bewusst oder unbewusst – zu einer Aufteilung in Opfer- und Täterrollen. Ein Prinzip, das der Bewältigung einer Krise in gegenseitiger Verantwortung und Wertschätzung, nicht entsprechen kann. Auch wenn die Misserfolgsfaktoren oft woanders gesucht werden, sind dies meist dem System immanente Fehler, die dann oft auch zum Scheitern im Krisenmanagement führen.
Führung selbst als kritische Variable im Krisenprozess zu betrachten, die nicht nur den Veränderungsprozess steuert und verantwortet, sondern sich selbst auch einer grundlegenden Veränderung der äußeren Rahmenbedingungen und des inneren Prozesses stellen muss, ist ein unabdingbarer Teil der Erfolgsgeschichte und sicher auch zugleich der anspruchsvollste.
Es erfordert Disziplin, sich als Führungsteam neben der alltäglichen Routine, regelmäßige Auszeiten zu organisieren, um das eigene Denken und Handeln gemeinsam zu reflektieren, sich gegenseitig in der Wahrnehmung des eigenen Verhaltens zu spiegeln und die bevorstehenden Maßnahmen und Initiativen miteinander immer wieder kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Im Referenzfall war es für uns eine logische Konsequenz, aus dem gemeinsamen Prozess und der daraus gewonnenen Haltung, nur Dinge entscheiden und vertreten zu können, die wir in der Konsequenz auch auf uns selbst anwendeten. Dies hat zu einer hohen Glaubwürdigkeit beigetragen, so dass wir die notwendigen materiellen Einschnitte machen konnten, die letztlich maßgeblich für die Zukunftsfähigkeit der Organisation waren.
In keinem Fall wurde von den Mitarbeitern in Zweifel ge- zogen, dass wir hier uneingeschränkt unseren Worten Taten folgen ließen und als Vorbild agierten. Dies war so etwas wie ein unausgesprochener, absolut verlässlicher Ehrenkodex. Die Achtung der Mitarbeiter zu gewinnen, war ein Teil des Erfolgs, die Achtung gegenüber sich selbst auch in politisch und wirtschaftlich turbulenten Zeiten zu bewahren, der jedoch weitaus höhere Lohn.
Ausblick
Nachhaltige Zukunftsfähigkeit imAußen wie im Innen
Was bedeutet dieses viel zitierte Schlagwort der Zukunftsfähigkeit in den Augen von mir, die ich selbst Teil eines Prozesses war, in dem Zukunftsfähigkeit nicht das Ziel, sondern vielmehr die Konsequenz aus dem Handeln entlang des Weges war. Ähnlich wie eine Organisationskultur nicht direkt beeinflussbar ist, sondern das Ergebnis aus einer Summe von Initiativen darstellt, ist auch die Zukunftsfähigkeit einer Organisation Ausdruck eines lebendigen Prozesses des Miteinanders.
Ausgehend von einem gemeinsamen strategischen Entstehungsprozess steht das Fundament einer zukunftsfähigen Organisation auf zwei wesentlichen Säulen: einem Führungsverständnis von gegenseitiger und gemeinsamer Verantwortung sowie einer lebendigen Kommunikation, getragen von einem fundierten Dialog zwischen Führungskräften und
Mitarbeitern.
Dieser Dialog sollte so gestaltet sein, dass er alle Ebenen der Organisation durchdringt und ein Netzwerk entstehen lässt, das sich nicht in Hierarchien und Funktionen verfängt, sondern die unterschiedlichsten Perspektiven in Verbindung zueinander bringt. Um Krisen zu bewältigen und im Innen wie im Außen gestärkt daraus hervorzugehen, sollte dies die oberste Maxime eines verantwortlich handelnden Führungsteams sein.
Die Frage, inwieweit eine Führungskraft in der Lage ist, ihre Mitarbeiter souverän durch eine Krise zu führen, hängt auch wesentlich davon ab, wie sie sich selbst durch die Krise hindurch steuern kann. Dazu braucht es ein hohes Maß an Bewusstheit sowie die Bereitschaft, den da mit verbundenen eigenen Entwicklungs- und Veränderungsprozess anzunehmen. Krisenzeiten verlangen von allen Beteiligten ein überdurchschnittliches Engagement und die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und alle Energie auf das gemeinsame Ziel hin auszurichten. Führungskräfte und Mitarbeiter tun gut daran, sich die dafür notwendigen Kompetenzen bereits in „ruhigeren“ Zeiten anzueignen. Nur wer nachhaltig und vorausschauend
die eigene Zukunftsfähigkeit im Auge behält, hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, auch Krisen im umfassenden Sinne gesund zu überstehen und gestärkt daraus hervor zu gehen. Dies gilt für Personen genauso
wie für Organisationen.
Dr. Regina Hauser